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Abschlusszeugnisse für Abiturienten des Jahngymnasiums

MAZ vom 24.06.2022

Festakt im Kulturzentrum: 74 Abiturienten des Rathenower Jahngymnasiums haben im Theateraal ihre Abschlusszeugnisse erhalten. Der Jahrgang erzielte einen rekordverdächtigen Notenschnitt.

Feierlich und würdevoll: Die Zeugnisübergabe an die Abiturienten des Jahngymnasiums im Theatersaal des Kulturzentrums war ein Ereignis. © Quelle: Markus Kniebeler

Feierlich und würdevoll: Die Zeugnisübergabe an die Abiturienten des Jahngymnasiums im Theatersaal des Kulturzentrums war ein Ereignis. © Quelle: Markus Kniebeler

Rathenow. Der Begriff Zäsur bezeichnet jenen Punkt in einem Leben, in dem sich Grundlegendes ändert. Jenen Augenblick, in dem einem plötzlich und mit großer Klarheit bewusst wird, dass etwas zu Ende geht und etwas Neues beginnt.

Die Zeugnisübergabe an die Abiturienten des Jahngymnasiums am Donnerstagabend im Theatersaal des Kulturzentrums war ein solcher Moment. Um das zu erkennen, musste man den Blick nur etwas länger auf den jungen Leuten ruhen lassen, die dort in den ersten drei Reihen saßen.

Allein die festliche Kleidung – die Herren im klassischen Anzug, die Damen in eleganten Gewändern – signalisierte, dass fortan die Codes der Erwachsenenwelt immer mehr Raum im Leben einnehmen werden. Und auch die Ernsthaftigkeit in den Gesichtern der Absolventen war ein Hinweis darauf, dass die Unbekümmertheit des Schülerdaseins durch ein Mehr an Verantwortung ersetzt werden wird – im Beruf, in der Familie, im gesellschaftlichen Miteinander.

Nachdenkliche Rede der Schulleiterin

Betrachtet man die engagierte Rede, mit der Schulleiterin Anke Koch die Festveranstaltung eröffnete, könnte es noch einen anderen Grund für den Ernst in den Mienen der jungen Leute geben: der Leistungsdruck einer Gesellschaft, in der nach Einschätzung der Schulleiterin das Bewerten, das Kategorisieren eine Obsession geworden ist. „Natürlich ist das nicht“, so Kochs kritische Einschätzung. Vielmehr handele es sich um ein System, das etabliert worden sei, um den Ansprüchen einer wirtschaftlich-technisch hoch entwickelten Nation gerecht zu werden.

Rekordverdächtiger Jahrgang

Dass man sich diesem System nur schwer verweigern kann, gehört zur Analyse dazu. Natürlich wird auch am Jahngymnasium bewertet, verglichen, eingeordnet, bilanziert. Und auch der aktuelle Abi-Jahrgang kann sich dem nicht entziehen. In diesem Sinne also zu den blanken Zahlen: 74 Schüler des Jahngymnasiums haben in diesem Jahr ihr Abiturzeugnis erhalten. Der Jahrgang erzielte einen schier unglaublichen Notenschnitt von 1,8. 45 Prüflinge hatten auf ihrem Zeugnis eine 1 vor dem Komma, bei sechs Schülerinnen und Schülern stand die Traumnote 1,0 auf dem Papier. Die Beste des Jahrgangs, Helena Freymuth, erzielte 868 von 900 Punkten.

Dass Punkte und Noten nicht alles sind, hatte Anke Koch mehrfach betont. Und den Absolventen einen Rat mit auf den neuen Lebensabschnitt gegeben. Nämlich, dem Bewertungswahn die wirklich relevanten Fragen entgegen zu stellen, etwa diese: „Wie oft habe ich heute entspannt in den Himmel geschaut und die Wolken ziehen sehen, welche echten Momente von Nähe und Intimität habe ich heute mit Menschen, die ich liebe, geteilt, was habe ich heute für mich und nicht für die Erfüllung von meiner to-do-Liste getan?“ Der einzig sinnvolle Vergleich, so Koch, sei nicht der mit anderen, sondern der mit sich selbst.

Die Rede der Schulleiterin war eingebettet in einen stimmungsvollen, dem Anlass angemessenen Rahmen. Das Programm im voll besetzten Theatersaal – jeder Abiturient durfte vier Angehörige zur Feier mitbringen – wurde von (ehemaligen) Schülerinnen und Schülern des Jahngymnasiums gestaltet. Kajsa Ida Dech, Aaron Huyoff und Delian Zimmermann am Klavier, Antonia Maday (Oboe) und Sängerin Zarah-Maureen Zimmermann sorgten mit ihren musikalischen Beiträgen für Momente der Besinnung.

Abiball in Premnitz

Von diesen sollte es dann am Freitagabend nicht mehr ganz so viele geben. Beim großen Abiball in der Premnitzer Sporthalle war Ausgelassenheit Programm. Und das hatten sich die jungen Leute nach Jahren der coronabedingten Einschränkungen redlich verdient.

Lehrer Udo Geiseler, einer der Tutoren, die die Abiturienten in ihrer Schullaufbahn begleitet hatten, machte keinen Hehl aus seinen gemischten Gefühlen. Natürlich freue er sich, die jungen Leute aus der Schule in den nächsten Lebensabschnitt zu entlassen. "Den Abiturienten steht die Welt offen, sie können jetzt machen, was sie wollen", sagte er. Aber natürlich sehe er den Abschied auch mit einem weinenden Auge. "Über die Jahre sind mir viele ans Herz gewachsen. Das wird einem an solch einem Tag schmerzlich bewusst."

Tatsächlich gab es auch unter den Abiturienten einige, die Tränen der Wehmut nicht unterdrücken konnten. Und wer will ihnen das verdenken, nach einer mindestens zwölfjährigen Zeit, in der die Schule mit all ihren positiven und negativen Begleiterscheinungen Mittelpunkt ihres Lebens war?
Zwiespalt der Gefühle

Die im Rahmen eines Poetry Slams entstandenen Zeilen eines Schülers, die Anke Koch zu Beginn ihrer Rede zitierte, bringen die Zerrissenheit der Schulabgänger auf den Punkt: „Erinnere mich zurück – Schule? – so ein Scheiß/Heute lieg ich wach und denk zurück – man war das nice.“

Dass nicht alle ihrer Schullaufbahn Tränen hinterher weinen, gehört auch zur Wahrheit – und ist irgendwie auch beruhigend. Ansgar Blocks etwa, einer der Absolventen, gab auf die Frage, ob er jetzt ein Studium beginne, eine an Deutlichkeit nicht zu übertreffende Antwort: „Auf keinen Fall“, sagte er. „Es reicht. Muss auch mal gut sein mit der Lernerei.“ Er werde eine Ausbildung zum Mechatroniker machen. Und freue sich darauf schon sehr.

Von Markus Kniebeler