Rathenow. Der Kauf eines Handdesinfektionsmittels ist nun wahrlich keine weltbewegende Sache. Aber in Zeiten von Corona gewinnen Alltäglichkeiten dieser Art an Bedeutung. Und deshalb kann sich Udo Geiseler, Lehrer am Rathenower Jahngymnasium auch noch genau an sein „erstes Mal“ erinnern. In der Parfümerie einer Finnlandfähre habe er Mitte Februar eine Flasche erworben, berichtet er. „Und ich benutze es immer noch.“
Auch wenn der Kauf des Fläschchens schon wie eine Vorahnung auf die Corona-Krise anmutet, war die Welt damals noch weitestgehend in Ordnung. Und deshalb konnte die Finnlandtour von 26 Zehntklässlern des Jahngymnasiums und ihren drei Betreuern wie geplant stattfinden. „Zwei Wochen später hätten wir die Tour wahrscheinlich absagen müssen – wegen Corona“, sagt Geiseler. „Das hätte uns um ein unvergessliches Erlebnis gebracht.“
Der Austausch mit einer Partnerschule im finnischen Kuopio zählt zu den guten Traditionen des Gymnasiums. Im Frühjahr 1998 machten sich die damalige Schulleiterin Barbara Kreft mit der Lehrerin Karin Lemme und Schülern erstmals auf die Reise in die 120000-Einwohner- Stadt rund 400 Kilometer nördlich von Helsinki. Eine Lehrerin der finnischen Schule hatte sich auf eine Anfrage aus Rathenow nach einem interkulturellen Austausch gemeldet.
Seitdem stehen die beiden Schulen in regelmäßigem und intensivem Kontakt. Wenn es machbar ist, kommt es zu mindestens einem Treffen im Jahr. Auf den Besuch folgt der Gegenbesuch.
„Es sind da schon einige feste Freundschaften entstanden“, sagt Geiseler, der den Austausch seit 2006 betreut und in diesem Jahr von den Kolleginnen Dorothea Kotowski und Anne Kufuß begleitet wurde. Nicht nur die Schüler, auch die Rathenower Lehrer seien ihren finnischen Kollegen mittlerweile eng verbunden.
In diesem Jahr hatten sich 26 Schüler der Klasse 10a auf die abenteuerliche Reise in den Hohen Norden gemacht. Dazu muss man wissen, dass die Strecke nicht einfach mit dem Flieger bewältigt wird. Sondern mit dem Bus. Drei Tage waren die Schüler von der Abfahrt in Rathenow bis zur Ankunft in Kuopio unterwegs. Auf dem Reiseprogramm standen ein Zwischenstopp auf Schloss Gripsholm am Grab Kurt Tucholskys, eine Stadttour durch die schwedischen Hauptstadt Stockholm und etliche Stunden an Bord von Bussen und Fähren. „Die Chemie in der Truppe muss stimmen, um diese nicht ganz unstrapaziöse Tour zu bewältigen“, sagt Geiseler. Und fügt hinzu: „Bislang hat die Chemie immer gestimmt.“
In Finnland angekommen, wurden die Rathenower Gymnasiasten von ihren Gastfamilien in Empfang genommen. „Es geht darum, dass die Schüler Land und Leute kennen lernen“, sagt Geiseler.
Die Chemie in der Truppe muss stimmen, um diese nicht ganz unstrapaziöse Tour zu bewältigen.
Und das funktioniere am besten, wenn sie sich in den Alltag einer Familie einfügen. Damit auch die Chemie zwischen den Austauschschülern stimmt, werden bereits lange vor der Fahrt Kontakte geknüpft. Bereits im Oktober hatten die Rathenower Steckbriefe nach Finnland geschickt, mit denen sie sich vorstellten. Nicht nur über ihre Lebensumstände gaben sie Auskunft, auch Interessen, Essgewohnheiten, Allergien teilten sie mit. Und ermöglichten es den Verantwortlichen in Finnland so, die passende Familie zu finden.
„Es hat alles hervorragend geklappt“, sagt Geiseler. „Es ist bemerkenswert, wie nah sich die jungen Leute trotz der großen Entfernung im Grunde sind.“
Ähnlichkeiten gab es in diesem Jahr auch – und das hat die Havelländer dann doch verwundert – bei den Temperaturen. „Fast so mild wie bei uns“, erinnert sich Geiseler, der bei früheren Touren schon erlebt hat, dass das Thermometer minus 30 Grad anzeigte. Zum traditionellen Skiausflug hat es aber noch gereicht.
So unbeschwert der Austausch vonstatten ging, ganz unbeeinflusst von der nachfolgenden Corona-Krise ist er dennoch nicht geblieben. Am selben Tag, als in Deutschland die Schulen geschlossen wurden, stellte auch Finnland den Schulbetrieb ein.
Und die Busfirma aus Segeletz, die die Rathenower Schülerinnen und Schüler seit fast 20 Jahren sicher an ihr Ziel bringt, kämpft ums Überleben. Die Aussichten sind ungewiss. „Das macht uns sehr traurig“, sagt Udo Geiseler. „Aber wir hoffen alle, dass wir die nächste Tour in der gewohnten Besetzung absolvieren können.“ Auch dann, wenn nach Corona nichts mehr so sein sollte, wie zuvor.
Von Markus Kniebeler